Wurzelecht
Die Sonne wusste es wohl als Erste, da bin ich mir heute sicher. Und ganz sicher tat sie es meinetwegen, wollte mir etwas Gutes tun, wollte mich stärken. Sie ging auf, als du weggingst. Sie tröstete mich die Tage hindurch, dass ich hindurch kam. Anfangs bemerkte ich es kaum, sah nicht hin und nicht ein, dass so sein sollte, das mit dir und mir. Alles in mir stellte sich quer, wie die Zebrastreifen auf der Fahrbahn, wollte es nicht wahrhaben, war in deine Worte gefallen, die - wie du vor Jahr und Tag - mir geerdet echt daherkamen, doch der Weg war zu Ende.
Du gingst aus der Tür, die Worte nahmst du mit, und in mir blieb wenig Gutes zurück. Ich atmete schwer, ging schwerer durch die Nacht, wollte unser Ende nicht so stehen lassen, wie du mich hattest stehen lassen. So muss, so darf es nicht sein, das tut weh. Ich wollte weg, einfach fort, nur nicht an dich erinnert werden, an den Orten, wo unser Wir einst lebte. In jenem Sommer waren Wetter und Sonne genauso, wie ich es brauchte, und sie blieb mir treu. Dein Abbruch tat ihr keinen Abbruch. Ihre Strahlen, ihre Wärme halfen mir fortzuziehen, von dort, wo ich ein Stück meiner selbst verloren hatte, wo ich mich in mir selbst verlaufen hatte. Sicher lag es an meinem Herzen, das lebt, fühlt und malt gern über den Tagestellerrand hinaus.
Ungewisse Zeit nach dir hatte ich immer noch nicht aufgeräumt, nicht im Kopf, nicht im Haus, lediglich dein Müll war mir aufgefallen. Der Müll, den du hinterlassen hast, wohl sortiert, war er groß wie ein Achttausender. Weg damit, aber entsorgt heißt nicht unbedingt erledigt, denn etwas zu wissen und damit klarzukommen, sind zwei verschiedene Dinge. Ich brauchte Zeit.
Du warst sicher schon viele Tagesreisen weit woanders, als meine Wehmut mir den letzten Mut nahm, dir und uns hinterher zu laufen, so setzte ich mich unter unseren Baum. Ich besah meine Seele, versorgte mein Herz, dachte an dich, als der Fallschatten sagte, nein, fall nicht in seinen Schatten zurück. Wirf seine Tasse gegen die Wand, die Tabaksdose in die Müllpresse, das Baumrindenherz auf den Kompost, bleibe stark, stelle dich ins Licht und strahle.
Nach all der Zeit, denke ich, was sind schon deine kleinlichen Großstadtgedanken gegen unfassbare Landschaftsweite vor meiner Haustür? Da steht nichts mehr quer zum Wellenwind, den die Segler sich wünschen, sich darin üben, darin messen. Ich muss das alles nicht, muss nicht müssen, mich nicht messen, nicht werten, darf genießen und danken, alles andere wäre undankbar.
An Tagen, an denen die Sonne für mich da ist, mir Rückhalt gibt, erinnere ich mich, was der Lehrer damals sagte, manchmal muss man selber einen Punkt setzen, damit es weitergehen kann. Wenn alles nicht so ist, wie ich es mir wünsche, denke ich an ihn, den Lehrer, dem ich viel verdanke. Aber ich schweife ab.
Da unser Wir kein Erbe hinterließ, gibt es keinen Weg, kein Zurück, denn der Schlusspunkt setzt sich immer ans Ende. Mit neuer Kraft, neuem Mut, dem Regenbogen im Blick, die Sonne im Rücken geht das gut, denn wurzelecht kann man nicht erfinden, nicht herbeireden, wurzelecht kann man nur leben.
Punktblick
Da steht er und wartet, wartet und weiß, er bekommt seinen Auftritt.
Er setzt einen Schluss, stellt das Davor nicht in Frage, es gibt nur das Danach.
Der Punkt macht ganze Arbeit, taucht öfter in Leben auf.
Manchmal übersieht man ihn, manchmal schwimmt er vorbei,
oder er ist da, ohne zu fragen, ob er kommen darf und bleiben soll.
Ob ich ihn heute kommen sehe im Alltag der Tage?
Der Punkt hat seine eigene Wahrheit, sucht in eigener Regie,
wen es zu finden gilt. So gab mein Gestern mir seinen Auftrag:
Auf ein Neues, Wissen und Erfahrung nutzen, Energie, so gut es geht, mitnehmen
und mit klarem Blick dem Punkt entgegengehen, ihn zum Wendepunkt erklären.
Das Danach begrüßen, beleben und behüten.
(C) Maria Lange-Otto
Nichts von dem
Keine Sterne, keine Ruhe, kein Schlaf,
ein fast unmerklicher Luftzug schleicht über ihre Haut. Sie liegt an seinem Rücken, lauscht seinem Atem, leise vertraut. Die Hitze des vergangenen Tages weicht, nimmt aber nicht die Unruhe ihres Herzens. Angestoßen wie ein Pendel stemmt sich die Sollbruchstelle ihres Herzens gegen die wechselhaften Stimmungslawinen, die nicht wissen wohin und anlanden wie Schlamm am Wehr der Traurigkeit. Ihr Gärungsgift einatmend wird sie am Morgen Rettung suchen. Das wird vergebens sein, denn frisches Fließwasser fehlt. Es ist das Fließwasser seiner Aufmerksamkeit, das ihr Gemüt beruhigt, die Sehnsucht stillt und dann, der Bestimmung nach, weiterzieht, um den alltäglichen Aufgaben freien Raum zu lassen.
Kein Blick, kein Kuss, kein Wort.
Gestern schon ließen seine Augen wenig Hoffnung regnen und Fragepartikel schwebten über der Abschiedsschwelle. Was wird dir morgen noch wichtig sein und warum und welche Farbe haben meine Augen? Nichts als überfordernde Müdigkeit lief über seine Lippen, wünschte sie doch, etwas wäre dabei, was den nächsten Morgen begrüßen kann und die Fließbewegung sichert. Aber es sieht nicht gut aus, wie die Kirmeslosniete, die ein Schade nach sich zieht. Sie hat noch nie etwas gewonnen, dachte lange Zeit, mit ihm wäre das anders.
Noch bevor die Nacht ihre Aufgabe beendet, ihr Flirren erlischt, ist er schon aus der Tür und sein Duft im Kissen wird dem Morgen ebenso entkommen wie ihr müde gewordenes Bedauern über ungelebte Zeiten für Geist und Hand. So wird es dann werden, wie die Wahrsagerin ihr einst die Herzlinie deutete:
Kein Zeichen, kein Weg, kein Morgen.
(C) Maria Lange-Otto
Zum Jahresbeginn
Am Anfang sind es Vorsätze, dann folgen Hauptsätze in eigentümlicher Überheblichkeit,
Nebensätze mit wenig Selbstbewusstsein, Fragesätze, die auf Antworten warten, weil
Grundsätze keine Beachtung finden und Merksätze sich niemand merkt.
Wegen guter Ansätze, die aber erfolglos bleiben, hört man Notensätze in allen Tonlagen, oft auch Gesangstexte ohne Zahl, alles nach Können und Geschmack.
Dann gibt es noch Einsätze ohne Gewinn, Steuersätze, die immer zu hoch,Umsätze, die immer zu niedrig, denn Zinssätze leben von Prozenten, liefern Gegensätze, die Streitlust bringen, und Sprengsätze, die zu explodieren drohen, denn Lehrsätze stoßen auf taube Ohren, wie die Mathesätze, die keiner mehr weiß.
Und so viele Absätze, selten aus Leder, eher aus Hartgummi, sitzen auf dem Untersatz,
lesen im Kaffeesatz nur den letzten Satz, derweil die Vorsätze in Vergessenheit geraten.
Ach, bald ist dann wieder Silvester, und ein neuer Vorsatz lebt auf.
Euch und euren Lieben alles, was es braucht, für ein gelingendes Jahr !
(c) Maria Lange-Otto